Einführung
Die Herstellung von Flachglas-Produkten sowie Mehrscheiben-Isolierglas ist mittlerweile ein hochautomatisierter technologischer Prozess, welcher sich über viele Jahre zu einem komplexen mehrstufigen Fertigungsablauf entwickelt hat. Die große Produktvielfalt der innovativen Mehrscheiben-Isoliergläser erfordern eine gewisse Flexibilität in den Produktionsanlagen der Isolierglas Hersteller. Selbst mit modernsten und ausgereiften Produktionsanlagen, können fertigungsbedingte Toleranzen am Endprodukt nicht ausgeschlossen werden. Diese Toleranzen müssen von nachfolgenden Gewerken, wie z. B. Fassaden- oder Fensterbauer, berücksichtigt werden. Zulässige Abweichungen, definiert in den unterschiedlichen Normen, sind prinzipiell so ausgelegt, dass die technische Funktion und Lebensdauer des Produkts nicht beeinflusst wird.
Auftraggeber und Auftragnehmer haben oftmals unterschiedliche Auffassungen von zulässigen Toleranzen, wenn es um optische Aspekte des Endproduktes geht. Um dieser Tatsache gerecht zu werden, haben sich in den letzten Jahren Toleranzvorgaben entwickelt, nach denen sowohl die fertigen Isoliergläser als auch die Halbzeuge während der Produktion bewertet werden müssen.
Normative Grundlagen
In einer Vielzahl von Normen sind Toleranzen der Einzelprodukte definiert. So kann es sein, dass Toleranzen des Fertigprodukts Isolierglas auch in Normen von Vorprodukten geregelt sind.
Die wohl wichtigsten Produktnormen im Glasgewerbe sind:
- EN 572 „Glas im Bauwesen – Basiserzeugnisse aus Kalk-Natronsilicatglas“
- EN 12150 „Glas im Bauwesen – Thermisch vorgespanntes Kalknatron-Einscheiben-Sicherheitsglas“
- EN 14179 „Glas im Bauwesen – Heißgelagertes thermisch vorgespanntes Kalknatron-Einscheibensicherheitsglas“
- EN 1863 „Glas im Bauwesen – Teilvorgespanntes Kalknatronglas
- EN 14449 „Glas im Bauwesen – Verbundglas und Verbund-Sicherheitsglas“
- EN 1096 „Glas im Bauwesen – Beschichtetes Glas“
- EN 1279 „Glas im Bauwesen – Mehrscheiben-Isolierglas“
- DIN 1249-11 „Flachglas im Bauwesen – Glaskanten – Begriffe, Kantenformen und Ausführung“
Die Vielzahl von Normen stellt sich in der praktischen Anwendung oftmals schwierig dar und lässt mitunter einen gewissen Interpretationsspielraum zu. Glasprodukte, welche im europäischen Raum gehandelt werden und einer harmonisierten Norm entsprechen, müssen CE-gekennzeichnet werden. Damit bestätigt der Hersteller, dass die Glasprodukte der in der Norm definierten Qualität entsprechen. Dies ergibt sowohl für den Auftraggeber als auch für den Auftragnehmer eine Rechtssicherheit im Umgang mit Toleranzen. Zusätzlich zu den rechtlich verbindlichen Produktnormen, gibt es Informations- und Merkblätter sowie Richtlinien von verschiedenen Verbänden (BF, VFF, ...), welche am Markt etabliert sind. Deren Anwendbarkeit sollte individuell von den Vertragsparteien geprüft werden.
Technische Toleranzen
Als technische Toleranzen werden Abweichungen verstanden, innerhalb derer die Glasprodukte hinsichtlich Maße, Dicke, Versatz etc. produziert werden können, ohne die Funktion, Tragfähigkeit oder die Lebensdauer des Produkts zu beeinflussen. Diese sind in der Regel vom Endkunden nicht zu erkennen. Die Beurteilung erfolgt mit Messmitteln und objektiven Methoden, definiert in einschlägigen Normen.
Dickentoleranzen am Randverbund
Verglasung | Scheibe | MIG- Dickentoleranz |
2-fach | alle Scheiben sind entspanntes Floatglas |
± 1,0 mm |
mind. 1 Scheibe VSG, Ornamentglas oder ESG/TVG |
± 1,5 mm | |
3-fach | alle Scheiben sind entspanntes Floatglas |
± 1,4 mm |
mind. 1 Scheibe VSG, Ornamentglas oder ESG/TVG |
+ 2,8 mm / -1,4 mm |
Versatz bei Rechtecken
2-fach-/3-fach-MIG | Toleranzen für B+H |
Versatz |
alle Scheiben ≤ 6 mm und (B+H) ≤ 2.000 mm |
± 2 mm | ≤ 2 mm |
6 mm < dickste Scheibe ≤ 12 mm oder 2.000 mm < (B oder H) ≤ 3.500 mm |
± 3 mm | ≤ 3 mm |
3.500 mm < (B oder H) ≤ 5.000 mm und die dickste Scheibe ≤ 12 mm |
± 4 mm | ≤ 4 mm |
1 Scheibe > 12 mm oder (B oder H) > 5.000 mm |
± 5 mm | ≤ 5 mm |
Die Dicken sind Nenndicken. |
Visuelle und optische Toleranzen
Visuelle und optische Toleranzen beziehen sich auf die Wahrnehmung der Oberflächen bzw. die Durchsicht unterschiedlicher Glasprodukte. Dazu zählen optische Verzerrungen in der Glasfläche, der Farbeindruck, die Maßgenauigkeit von Mustern, visuelle Imperfektionen, welche die Durchsicht von Glasprodukten beeinflussen, sowie Oberflächenverletzungen wie beispielsweise Kratzer. Diese Merkmale sind für den Endkunden offensichtlich und können dementsprechend des Öfteren zu Diskussionen führen. Hierzu ist zu erwähnen, dass die visuelle Qualität von Isolierglasprodukten seit 2018 in der DIN EN 1279-1 definiert ist und seither auch eine verbindliche Mindestanforderung besteht. Die Beurteilung erfolgt mit Messmitteln sowie definierter Methoden gemäß dieser Norm. Abhängig von Lichtverhältnissen und der Wahrnehmung des Beobachters, ergeben sich in diesem Bereich aber immer wieder Meinungsunterschiede.
Punktförmige Fehler
Zone | Größe des Fehlers (ohne Hof) Ø in mm |
Scheibengröße S in m² | |||
S ≤1 | 1 < S ≤ 2 | 2 < S ≤ 3 | S < 3 | ||
R | alle Größen | ohne Einschränkung | |||
E | Ø ≤ 1 | zulässig, falls weniger als 3 in jedem Bereich mit Ø ≤ 20 cm | |||
1 < Ø ≤ 3 | 4 | 1 je Meter Kantenlänge | |||
Ø > 3 |
nicht zulässig | ||||
M | Ø ≤ 1 | zulässig, falls weniger als 3 in jedem Bereich mit Ø ≤ 20 cm | |||
1< Ø ≤ 2 | 2 | 3 | 5 | 5+2/m² | |
Ø > 2 | nicht zulässig |
Zulässig Anzahl punktförmiger Fehler (EN 1279-1:2018-10)
Rückstände
Zone | Maße + Typ Ø in mm |
Scheibengröße S in m² | |
S ≤1 | 1 < S | ||
R | alle | ohne Einschränkung | |
E | punktförmig Ø ≤ 1 | ohne Einschränkung | |
punktförmig mit 1 mm < Ø ≤ 3 |
4 | 1 je Meter Kantenlänge | |
Fleck Ø ≤ 17 | 1 | ||
punktförmig Ø > 3 und Fleck Ø > 17 | höchstens 1 | ||
M | punktförmig Ø ≤ 1 | höchstens 3 in jedem Bereich mit Ø ≤ 20 cm |
|
punktförmig 1 < Ø ≤ 3 Fleck |
höchstens 2 in jedem Bereich mit Ø ≤ 20 cm |
||
punktförmig Ø > 3 + Fleck Ø > 17 | nicht zulässig |
Zulässig Anzahl punkt- u. fleckenförmiger Rückstände (EN 1279-1:2018-10)
Linearer/langgestreckter Fehler
Zone | Einzellängen mm | Einzellängen insg. mm |
R | ohne Einschränkung | |
E | ≤ 30 | ≤ 90 |
M | ≤ 15 | ≤ 45 |
Zulässige Anzahl linearer/langgestreckter Fehler (DIN 1279-1:2018-10)
Sehr feine Kratzer sind zulässig, sofern sie keine Anhäufung bilden.
R = Falzzone (engl. rabbet): Zone von 15 mm, die üblicherweise vom Rahmen abgedeckt ist oder bei einem rahmenlosen Rand dem Randverbund entspricht.
E = Randzone (engl. edge): Randzone der sichtbaren Fläche, mit einer Breite von 50 mm
M = Hauptzone (engl. main)
Physikalische Gegebenheiten
Im Folgenden werden einige Phänomene beschrieben, welche unter gewissen Umständen wahrgenommen werden können, sich aufgrund physikalischer Gegebenheiten jedoch nicht verhindern lassen.
Anisotropien
Anisotropien bezeichnen einen störenden Effekt von meist thermisch Vorgespannten Gläsern (ESG/TVG). Durch den Vorspannprozess werden in das Glas unterschiedliche Spannungen eingebracht, die eine Doppelbrechung im Glas hervorrufen. Diese Doppelbrechungen, werden in polarisiertem Licht als störende optische Effekte wahrgenommen. Üblicherweise werden Anisotropien als graue Ringe, Streifen oder auch als Leopardenmuster wahrgenommen. Mit zunehmender Glasdicke zeichnet sich der Effekt stärker ab. Polarisiertes Licht ist in normalem Tageslicht enthalten, weshalb dieser Effekt nie ganz ausgeschlossen werden kann.
Interferenzen
Bei Isolierglas aus Floatglas können Interferenzen in Form von Spektralfarben auftreten. Optische Interferenzen sind Überlagerungserscheinungen zweier oder mehrerer Lichtwellen beim Zusammentreffen auf einen Punkt. Sie zeigen sich durch mehr oder weniger starke farbige Zonen, die sich bei Druck auf die Scheibe verändern. Dieser physikalische Effekt wird durch die Planparallelität der Glasoberflächen verstärkt, welche für eine verzerrungsfreie Durchsicht sorgt. Interferenzerscheinungen entstehen zufällig und sind nicht zu beeinflussen.
Kondensat auf der Außenfläche
Besonders im Herbst und im Frühjahr kann morgens Kondensat auf der Außenfläche einer Verglasung beobachtet werden. Die Außenseite des Wärmedämmglases steht, wie alle anderen Oberflächen auch, im „Strahlungsaustausch” mit der Umgebung. Dabei gibt die Außenscheibe Wärme ab und wird somit an der Außenseite kälter. Ein klarer, „kalter” Nachthimmel hat eine extrem tiefe „Strahlungstemperatur“ von bis zu -50°C. Wie stark die Außenseite des Wärmedämmglases abkühlt, hängt aber auch davon ab, wie schnell sie mit „Nachschub“ an Wärme versorgt wird. Wärme-dämmglas unterbindet diesen Nachschub. Je kleiner der Ug-Wert der Verglasung, umso weniger Wärme gelangt an die Außenscheiben. Kondensat auf den Außenscheiben entsteht dann, wenn diese kälter als die umgebende Außenluft ist, und diese Luft mit Feuchtigkeit gesättigt ist.
Benetzbarkeit
Die Benetzbarkeit der Glasoberfläche an den Außenseiten des Isolierglases kann z. B. durch Abdrücke von Rollen, Fingern, Etiketten, Papiermaserungen, Vakuumsaugern, Dichtstoffresten, Glättmitteln oder Gleitmitteln oder Umwelteinflüssen unterschiedlich sein. Bei feuchten Glasoberflächen infolge Tauwasser, Regen oder Reinigungswasser, kann die unterschiedliche Benetzbarkeit sichtbar werden.
Doppelscheibeneffekt
Das System eines Mehrscheibenisolierglases unterbindet einen Druckausgleich des, zwischen den Scheiben eingeschlossenen, Gas- bzw. Luftvolumens mit der Umgebungsluft. Bei Änderungen der Klimaverhältnisse – im Vergleich zu den Bedingungen bei der Herstellung des MIG – gelten für das Gas bzw. die Luft im SZR die allgemeinen Gasgesetze. Das Verhalten des Mehrscheibenisolierglases wird hierbei von den Umgebungstemperaturen, der Sonneneinstrahlung, der Wetterlage (Luftdruck) und der Einbauhöhe im Vergleich zur Höhe bei der Herstellung beeinflusst. Die Folge können Druckänderungen im SZR und Verformungen der Glasflächen sein. Die Verwendung von Scheiben mit erhöhter Absorption der Sonneneinstrahlung sowie großer Scheibenzwischenräume, können diesen Effekt verstärken. Bei Isoliergläsern mit asymmetrischem Glasaufbau (z. B. Schallschutzgläser, angriffhemmende Verglasungen), kann dies im Falle ungünstiger Scheibenformate zu extremen Belastungen der Isolierglaseinheit führen. Diese Einflüsse sind systembedingt und lassen sich nicht vermeiden.